Thema: Hier brauche ich die Sprachprofis

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Hier brauche ich die Sprachprofis
01.12.2007 von Russi-4

Hier brauche ich die Sprachprofis
01.12.2007 von Russi-4

Hallo Leute,

da ihr ja Profis im Bereich der Sprache seid und immer die Frage nach einer Kategorisierung der Sprachschicht kommt (bezeichne ich das überhaupt richtig?), brauche ich eure hochgeschätzte Meinung. Es soll darum gehen welche Wörter "österr. Standardsprache", "Mundart" (Dialekt ist wohl das gleiche?) oder nur regional bekannt sind.

Hat jemand von euch eine Idee wie man dies sauber aufschlüsselt? Ehrlich gesagt könnte ich nichtmal genau definieren was eigentlich ein Dialekt ist, wo die Hochsprache anfängt und was konkret mit österr. Standardsprache gemeint ist. Was ist eigentlich österr. (bzw. korrekter wohl bairisch) im Bezug zu Deutsch? Ein Dialekt? Eine regionale Abwandlung? Und wo steht hier dann das Schweizerdeutsch? Fragen über Fragen.

Euer verwirrter Russi

Kategorisierung der Sprachschicht
04.12.2007 von JoDo

Die erstaunlich lange Reaktionszeit von deinem Posting bis zu einer ersten Antwort erklärt sich nicht aus einem Desinteresse zum Thema, sondern wegen der Komplexität der Materie.

Die meisten Sprachwissenschaftler verwenden ein vierstufiges Modell zur Beschreibung der sprachlichen Vielfalt, das ich Dir hiemit versuche zu beschreiben:

• Schriftsprache = Hochdeutsch = (in der mündlichen Realisierung): Standardsprache
• Umgangssprache (dialektale Eigenschaften, vermittelnde Funktion zwischen Dialekt und Schriftsprache)
• Verkehrsdialekt (Stadt-, Landdialekt)
• Basisdialekt (örtliche, kleinräumliche Sprachformen)

Gleich dazu eine persönliche Meinung: Für mich gibt es sehr wohl eine österreichische Form des Hochdeutschen (früher einmal Burgtheaterdeutsch oder Prager Deutsch), die sich vom bundesrepublikanischen Deutsch - manchmal Binnendeutsch genannt - unterscheidet. Dieses Hochdeutsch ist nur MINIMAL anders, als das in der Bundesrepublik, hat allerdings so seine Nuancen.

• Ein Beispiel:
• D: Junge
• Ö: Knabe (Knabenbekleidung, Knabenseminar, Knabenchor ...)
• Umgangssprache:Bub (bis zu Pubertät), dann Bursch(e)
• Verkehrsdialekt: Bua
• Basisdialekt: (spezifisch): Bui, Buaschale ...

Zum Thema: "Die Österreicher sprechen Bairisch" möchte ich kundtun, dass mir die Bezeichnung Ostmitteloberdeutsch - obwohl sperrig - lieber ist, weil bairisch oder bayrisch immer mit der Bevölkerung des Freistaates in Verbindung gebracht werden wird, mit denen wir uns - weiß Gott - oft und anhaltend lang genug die Schädel eingeschlagen haben, um uns von ihnen zu differenzieren. Die sprachliche Gemeinsamkeit ist ja auch schon eine Weile her: vom 8. bis zum 12. Jahrhundert war da so was wie eine gemeinsame Entwicklung, mit der Einsetzung der Babenberger als österreichische Herzöge begann die Differentialdiagnose einer sich vom Ursprung wegdiffundierenden sprachlichen Entwicklung. Maria Theresia versuchte noch einmal sich mit dem Rest des "Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation" zu synchronisieren, aber es blieb beim Versuch, der 1867 endgültig scheiterte, als die "Deutsche Einigung" ohne Österreich (nach der Schlacht von Königgrätz) von Statten ging.

Das alles soll uns aber hier nicht weiter kratzen, nur, um dem Phänomen "Österreichisch" nur ein bissal gerecht zu werden, folgendes:
Das Österreichische ist keine ANDERE Sprache als das Deutsche, so dass man Dolmetscher bräuchte um vom einen zum anderen zu vermitteln (gelegentlich bin ich deswegen im Zweifel), das Österreichische hat ein anderes Strickmuster, eine andere Kategorie des sprachlichen Ausdrucks, andere Gedanken hinter der sprachlichen Formulierung, die dann in dieselben Worte unter Berücksichtigung derselben Grammatik gekleidet werden. ...
Die Unterschiede: Paradeiser - Tomate udergl. sind mir dabei ziemlich wuascht.

Soviel für diesmal, bei Gelegenheit gerne mehr.

JoDo

Re: Kategorisierung der Sprachschicht
05.12.2007 von Russi-4

Vielen Dank JoDo,

jetzt ist mir das klar. Also gibt es vier Stufen der Ausprägung:

-) Schriftsprache
-) Umgangssprache
-) Verkehrsdialekt
-) Basisdialekt

Müsste man hier noch eine Unterteilung des Verkehrs- und Basisdialektes in Regionen treffen oder ist ein Wort einfach Basisdialekt und die regionale Zugehörigkeit erkennt man an den Bewertungen?

Dein Beispiel ist mir auch klar, allerdings frage ich mich wie man das konkreter beschreiben kann (ich bin ein relativ digitaler Mensch der etwas genau zugeordnet haben möchte ). Anders gesagt: Wie erklärt man diese 4 Kategorien so, dass jeder weiss wohin ein Wort gehört? Oder ist das wurscht weil diese Einordnung sowieso nur von geübten Ostarrichiern vorgenommen werden soll?

Übrigens noch ganz allgemein: Verzeiht meine meist knappe und kurze Schreibweise - im Vergleich zu euch schreibe ich im Telegrammstil. Macht mir zwar unheimlich viel Spaß eure ausführlichen Beiträge zu lesen aber mein Schreibstil ist etwas komprimierter - bin ein minimalistischer Schreiberling.

Gruß Russi

Re: Kategorisierung der Sprachschicht
09.12.2007 von Russi-4

Wenn's keine Rückmeldung gibt, dann nehme ich das Thema nochmals auf. Reicht es diese vier Sprachschichten zu definieren ?

-) Schriftsprache
-) Umgangssprache
-) Verkehrsdialekt
-) Basisdialekt

Ist damit jeder zufrieden oder fehlt da noch eine Feinheit? Wer soll die Einteilungen vornehmen können? Alle oder nur Moderatoren?

JoDos Beispiel war hervorragend aber könnte man diese vier Schichten noch so umschreiben, dass der typische Nutzer auch weiss wo sein Wort konkret einzuordnen ist?

Gruß Russi

Einverstanden
09.12.2007 von Brezi

Hallo Russi!

Diesmal habe ich bei der Gestaltung dieses Features nichts mitzureden gewusst, bin aber mit der Einteilung in diese vier Gruppen hochzufrieden. Das wäre mir nicht eingefallen!

Zu deiner Frage, Moderatoren oder alle. Ich finde es sinnvoller, wenn das alle gleich könnten und dazu auch unbedingt aufgefordert würden. Sonst haben wir zu unzumutbar viel lästige Arbeit mit dem Sortieren und Schlichten. Als Moderatoren können wir ja wie in den übrigen Fällen jederzeit korrigieren, wenn der Eintrag zu krass falsch ist. Das sollte uns, die wir es ernst meinen, Zusatzaufgabe genug sein. Wir schaffen ja manchmal schon unser jetziges Pensum nicht.

Vielen Dank an alle, die diese Neuerung angeregt, entworfen und verwirklicht haben.

Brezi

Zu der angegebenen Einteilung:
09.12.2007 von JoDo

Natürlich geht es noch differenzierter, aber mir scheint, schon dieses Vierstufenmodell ist schwierig genug.

Zur näheren Erläuterung

• Schriftsprache = Hochdeutsch = (in der mündlichen Realisierung): Standardsprache

Diese Sprache ist in Wort und Schrift standardisiert (Regeln, Grammatik, Orthografie ...) und kodifiziert (Wörterbuch). Auch diese Standardsprache war irgendwanneinmal ein Dialekt, erfuhr aber durch die Normierung einen überregionalen, amtlichen Charakter und nimmt viele Elemente des mundartlichen weg (Zwie- und Mehrfachlaute werden auf einfache Vokale reduziert und mit eindeutigen Lauten "Phonemen" wiedergegeben).

• Umgangssprache (dialektale Eigenschaften, vermittelnde Funktion zwischen Dialekt und Schriftsprache)

Diese Form ist nahe an der Schriftsprache, verschleift sie aber mit mundartlichen Merkmalen.

• Verkehrsdialekt (Stadt-, Landdialekt)

Hier handelt es sich jetzt schon um einen "klassischen" Dialekt, das heisst, man kann nicht mehr genau Gesprochenes in Geschriebenes umsetzen. Was den Verkehrsdialekt auszeichnet, ist aber, dass er für eine größere Region (Bundesland oder "Viertel") gültig und verständlich ist.

• Basisdialekt (örtliche, kleinräumliche Sprachformen)

Das ist dann die feine Auffächerung in kleinräumliche Varianten (ich fürchte, das ist die Form, die gerade stirbt oder schon ausgestorben ist. Oder hört man noch einen Unterschied zwischen Purgstall und Gresten? Zwischen Ottakring und Hernals jedenfalls nicht mehr, früher war das schon noch so, erinnern kann ich mich daran aber auch nicht mehr richtig.)
Abgelöst wird dieser Basisdialekt von etwas anderem: dem Soziolekt, einer sprachlichen Schichtung von gehoben bis ordinär. Diese Schichtung ist meiner Meinung nach ohnehin schon perfekt in den Wortbeurteilungen von "ostarrichi" umgesetzt ("Nutzung des Wortes").

Die Beurteilung möchte ich gerne dem Moderatorenteam zumuten!

Re: Hier brauche ich die Sprachprofis
29.12.2007 von Russi-4

Ich bräuchte noch ein letztes Mal eure geschätzte Meinung zu den vier Unterteilungen. Hätte jemand ein paar gute Beispiele für die jeweilige Kategorie? Vielleicht sogar ein Wort mit den entsprechenden Varianten in der jeweiligen Kategorie. Das würde mit Sicherheit vielen bei der Einteilung helfen.

Gruß Russi

Suchen dauert a bissal ...
30.12.2007 von JoDo

Lieber Russi!

Das Suchen nach geeigneten Wörtern ist gar nicht so leicht, wie anfangs gedacht.
Daher will ich Dir mit einem Zitat die Wartezeit erträglicher machen.

Nach Wiesinger trifft man die dargestellten Sprachschichten, dargestellt an einem Beispielsatz, im Gebiet nördlich von Wien an.
Das Ereignis des abendlichen Eintreffens des Bruders wird im
Basisdialekt durch die Worte Heint af d'Nocht kimmt mei Bruider hoam
ausgedrückt. Sprecher des
Verkehrsdialektes kündigen das Ereignis durch die Worte Heit auf d'Nocht kummt mei Bruader ham an. In der
Umgangssprache zeigt sich durch die Verwendung der Ausdrücke Heit ab'nd kommt mei Bruder z'Haus eine wesentliche Annäherung an die Schriftsprache, die letztendlich in der
Standardsprache mit den Worten Heut ab'nd kommt mein Bruder nach Haus umgesetzt wird.

Zitiert aus:
Jan-Hendrik Leerkamp:
Die österreichische Varietät der deutschen Sprache
http://www.linse.uni-due.de/linse/esel/pdf/oesterr...
Wiesinger:
Die deutsche Sprache in Österreich. In: Wiesinger (1988): Das österreichische Deutsch, S. 18

Weiteres demnächst
vlG
JoDo

P.S.:
Hier haben wir fünf Worte, die sich mehr oder weniger durch die einzelnen Schichten durchflektieren lassen:

B: Heint - af d´Nåcht - kimmt - Bruida - hoam
V: Heit - auf d´Nåcht - kummt - Bruada - ham
U: Heut - ab´nd - kommt - Bruder - z´Haus
S: Heute - abend - kommt - Bruder - nach Hause

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Das österreichische Deutsch, oder einfach Österreichisch, zeichnet sich durch besondere Merkmale aus. Es besitzt einen einzigartigen Wortschatz, bekannt als Austriazismen, sowie charakteristische Redewendungen.

Die Eigenarten von österreichischem Deutsch gehen jedoch über den Wortschatz hinaus. Sie beinhalten auch Grammatik und Aussprache, inklusive der Phonologie und Intonation. Darüber hinaus finden sich Eigenheiten in der Rechtschreibung, wobei die Reform von 1996 gewisse Grenzen setzt.

Das österreichische Standarddeutsch ist von der Umgangssprache und den in Österreich gebräuchlichen Dialekten, wie den bairischen und alemannischen, deutlich abzugrenzen.

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